Ein Institut mit eigenem Charakter

Im vergangenen Sommer hat das ETH-Institut f¨¹r theoretische Studien (ETH-ITS) Fahrt aufgenommen: Vier Senior Fellows und zwei Junior Fellows widmen sich als G?ste der ETH Z¨¹rich ganz der Theoriebildung.

Vergr?sserte Ansicht: ETH-ITS
Das rote Haus an der Clausiusstrasse in Z¨¹rich beherbergt das ETH-Institut f¨¹r Theoretische Studien. (Bild: Giuseppe Miccich¨¦)

Die Clausiusstrasse f¨¹hrt vom ETH-Hauptgeb?ude in das Quartier Oberstrass. Wer sie beschreitet, erkennt nach gut vier Minuten zur linken Hand zwei Geb?ude mit rundherum roten Fassaden und weissen Kanten. 1882 gebaut, wohnten dort einst Familien der Mittel- bis Oberschicht. Heute sind sie Orte der grundlagentheoretischen Reflexion. Im gr?sseren der beiden H?user ist seit Herbst 2013 das ETH-Institut f¨¹r theoretische Studien (ETH-ITS) zuhause. Eingerichtet hat die ETH dieses Institut mit privaten Spenden. ?Wir m?chten Forschende ans ITS einladen?, sagt Giovanni Felder, Mathematik-Professor und Direktor des Instituts, ?die sich durch innovative Theorien in Mathematik, Informatik oder Naturwissenschaften auszeichnen. Wir geben ihnen alle Freiheit, damit sie sich ein Jahr lang der theoretischen Grundlagenforschung widmen k?nnen.?

Im ersten Jahr stand der Aufbau des ITS im Vordergrund. Im Februar kam mit dem theoretischen Physiker und Biologen Terry Hwa der erste ITS-Fellow nach Z¨¹rich. Im Sommer fand die Einweihung statt. Seither ist eine erste Generation von ITS-Fellows am Werk: vier Senior Fellows und zwei Junior Fellows. F¨¹r ETH-Pr?sident Ralph Eichler erf¨¹llt sich damit ein ?Traum, den ich schon lange hatte?.

Die Mathematik als Sprache des Dialogs

Schmuck ist das rote Haus, schlicht und sch?n zugleich mit einladenden Holztreppen. Im Erdgeschoss befindet sich ein Seminarraum mit bunten St¨¹hlen und Zimmerpflanzen. Die R?ume gleichen eher klassischen Studios als modernen Labors. Das ist durchaus erw¨¹nscht: Das Ambiente soll seinen Teil dazu beitragen, dass die Fellows untereinander ins Gespr?ch kommen und ihre Ideen mit Forschenden der ETH austauschen.

?Das ITS soll ein Treffpunkt sein f¨¹r Forschende, die ¨¹ber ihre Fachgrenzen hinaus einen Dialog ¨¹ber neue Theorien f¨¹hren wollen?, sagt Giovanni Felder. Weshalb der Fokus auf Theorien? Die theoretischen Teile der Naturwissenschaften und der Informatik enthalten vermehrt anspruchsvolle Mathematik. In den betroffenen Disziplinen erm?glicht diese Entwicklung einen fruchtbaren Dialog: Die theoretischen Wissenschaften und die Informatik verwenden nicht nur eine gemeinsame mathematische Sprache, sondern sie untersuchen auch gebiets¨¹bergreifende

Fragestellungen und L?sungsans?tze

Das gilt etwa f¨¹r den gegenw?rtig sehr kreativen Forschungsbereich an der Grenze von Mathematik und Physik: ?Die Mathematik entwickelt neue Methoden, die der Physik nutzen, und umgekehrt regen viele Ideen aus der Physik die mathematische Forschung an?, sagt Giovanni Felder, dessen eigene Laufbahn ihn vom Doktoranden der Physik zum Professor f¨¹r Mathematik gef¨¹hrt hat. Typische Ber¨¹hrungszonen sind die Wahrscheinlichkeitstheorie, die statistische Mechanik, die Quanteninformationstheorie, die Geometrie oder die Stringtheorie. Diese fasst die Elementarteilchen nicht als Punkte auf, sondern als schwingende Saiten und gilt als Kandidatin f¨¹r eine vereinheitlichte Theorie des Universums, die es heute noch nicht gibt.

Physik als Quelle der Inspiration

Emily Clader untersucht, wie sich Ideen der Stringtheorie mit einer mathematischen Sprache verstehen lassen. Die Mathematikerin kam nach ihrer Promotion an der Universit?t Michigan als Junior Fellow zum ITS und sch?tzt den fach¨¹bergreifenden Austausch und die gegenseitige Anregung am ITS: ?Das ITS hat enge Verbindungen zu den Ó¢»ÊÓéÀÖn der ETH und zu anderen Universit?ten. F¨¹r Forschende, die am Anfang ihrer Karriere stehen, ist das besonders vorteilhaft.?

Auch Dmitry Chelkak sagt, dass er reine Mathematik betreibt, ?aber in hohem Masse inspiriert von der Physik?. Der Russe forscht am Steklow-Institut f¨¹r Mathematik und befasst sich mit Wahrscheinlichkeitstheorie und statistischer Mechanik. ?Das ITS kombiniert zwei attraktive Aspekte: Zum einen ist es ein selbstst?ndiges Institut, das sich nicht innerhalb der Ó¢»ÊÓéÀÖ befindet. Zum anderen ist es voll in die ETH integriert und nur wenige Minuten vom Hauptgeb?ude entfernt. Diese N?he ist wichtig f¨¹r die Zusammenarbeit?, sagt Chelkak. Das ITS setzt nicht auf grosse Forschungsprogramme, sondern auf kleine Diskussionsrunden. Typisch daf¨¹r sind das ITS Science Colloquium und Workshops, welche die Fellows organisieren.

Mitte Oktober haben beispielsweise rund zwanzig Forschende aus Physik und Informatik eine Woche lang leidenschaftlich ¨¹ber die Quantenmechanik debattiert.

Mittels Quantenmechanik lassen sich Elementarteilchen, Atome oder Molek¨¹le beschreiben. Ihre Begriffe und deren physikalische Interpretation sind jedoch oft wenig anschaulich und werden intensiv diskutiert: ?Wir diskutieren die Grundlagen der Quantenmechanik aus verschiedenen Perspektiven und ?berzeugungen?, sagt Gilles Brassard, Senior Fellow am ITS und Professor f¨¹r Computerwissenschaft an der Universit¨¦ de Montr¨¦al. Er hat den Workshop organisiert und forscht seit rund 30 Jahren im Grenzgebiet der Informatik und der Quantenmechanik: ?Das ITS schafft ein sehr kreatives Umfeld f¨¹r interdisziplin?re Forschung.?

Klein als Institut, gross dank Vernetzung

?Der Wert solcher Workshops?, sagt Renato Renner, ETH-Professor f¨¹r Theoretische Physik, ?liegt darin, dass wir aus verschiedenen Fachrichtungen heraus Zugang zu einem Ph?nomen erhalten und auf diese Weise eine Theorie weiterentwickeln k?nnen.? Er sch?tzt das ITS als interdisziplin?res Forschungsinstitut, das die Aktivit?ten der Ó¢»ÊÓéÀÖ erg?nzt. Neben Gilles Brassard nimmt Charles Bennett, ein Physiker und Informatiker des IBM Forschungszentrums bei New York, an dem Workshop teil. Die beiden haben 1983 die Quantenkryptografie und 1992 das Prinzip der Quantenteleportation entdeckt ¨C Themen, in denen auch Renner forscht, und die f¨¹r die k¨¹nftige schnelle und sichere Informations¨¹bertragung eine Schl¨¹sselrolle spielen.

ITS-Fellow ist auch der Zahlentheoretiker Henryk Iwaniec. Der geb¨¹rtige Pole forscht seit rund 30 Jahren in den USA. Zuerst am Institute for Advanced Study in Princeton, heute als New Jersey State Professor an der Rutgers Universit?t. ?Das ITS ist ein Institut mit einem ganz eigenen Charakter. Man kann es fast nicht mit anderen Instituten vergleichen, die aus st?ndigen Fakult?tsmitgliedern bestehen. Es ist ein attraktiver Ort f¨¹r Seniors und f¨¹r Juniors, die Zeit haben m?chten, um an ihren geliebten Fragestellungen zu arbeiten?, sagt er, ?das ITS ist neu und vergleichsweise klein, aber es ist gross in dem Sinn, dass es sehr eng mit der ETH verbunden ist, mehr jedenfalls als andere Institute dieser Art mit ihren Universit?ten.?

Dieser Artikel wurde zuerst in ?life - Das Magazin f¨¹r die ETH-Community? ver?ffentlicht.

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